Das Waldpraktikum - ein jährlich stattfindendes
Klassengemeinschafts-Projekt in Zusammenarbeit mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges zeigte sich, dass die niedersächsischen Wälder stark unter den Kriegsereignissen und dem Raubbau zur Brennholzgewinnung gelitten hatten. Die neugegründete niedersächsische Forstverwaltung beschloss daher, auf freiwilliger Basis sogenannte Waldeinsätze zur Wiederaufforstung der Wälder im Ober- und Südharz durchzuführen. Dazu entstand auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitslagers Zorge im Südharz, dicht an der Grenze zur ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone gelegen, das erste Jugendwaldheim in Deutschland.
Zunächst wurden überwiegend Schüler des Regierungsbezirkes Braunschweig in den Schulferien abgeordnet, um die Rekultivierung der Wälder mit zu unterstützen. Garantiert wurde eine ganztägige Vollverpflegung bei sonst unentgeltlichem Einsatz. Eine Verpflegung ohne Abgabe von Essens – und Lebensmittelmarken – das war 1947 mehr als man sich nur wünschen konnte – weshalb die Resonanz auf diese Aktion sehr groß war.
Aus diesen Wiederaufforstungsprojekten der ersten Nachkriegsjahre entstand bald die Idee auch Vereine, Jugendgruppen und Schulklassen aus anderen Bundesländern nicht nur in den Schulferien zum Waldeinsatz zu motivieren. Schulklassen sollten auch während der regulären Schulzeit Waldeinsätze durchführen. Da die Städte z.T. noch stark zerstört waren, wurden einige Schulklassen in den 50er Jahren für vier Wochen in den Wald ausgelagert, allerdings dann auch mit reduziertem Regelunterricht am Nachmittag. So entstanden in den letzten 50 Jahren insgesamt 11 Jugendwaldheime allein in Niedersachsen.
Zielsetzung des Waldpraktikums:
Die Schülerinnen und Schüler sollen für die ökologischen Probleme und Zusammenhänge des Ökosystems Wald sensibilisiert werden.
Seit dem Frühjahr 1988 ist der Jugendwaldeinsatz der 9. Klassen der St. Ursula-Schule eine feste Einrichtung geworden. Bis dahin absolvierten unsere Schüler ein sogenanntes Soziapraktikum in Krankenhäusern und Altenheimen. Problematisch wurde das Sozialpraktikum für die Schülerinnen und Schüler vor allem dadurch, dass sie dem psychischen Stress und körperlichen Belastungen aufgrund ihres Alters nicht immer gewachsen waren. Um dem Umweltschutzgedanken ein stärkeres Gewicht in der Schule zu verleihen, beschloss die Gesamtkonferenz 1987 deshalb ersatzweise ein sogenanntes Waldpraktikum einzuführen.
An den Waldpraktika unserer Schule haben in den letzten 20 Jahren insgesamt über 1500 Schülerinnen und Schüler teilgenommen. Im April 1988 waren die Jugendwaldheime Braunlage – Brunnenbachsmühle und Zorge im Harz unsere ersten Ziele.
Die Jugendwaldeinsätze werden in Zusammenarbeit mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und den niedersächsischen Revierförstereien durchgeführt. Dabei fungiert die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald als Koordinationszentrale, für deren Entgegenkommen an dieser Stelle ein ganz besonderer Dank gilt.
Zur Zeit ist die St. Ursula-Schule Hannover die einzige Schule im Raum Hannover, die mit allen 7. und 8. Klassen jedes Jahr einen Waldeinsatz organisiert. Andere Schulen sind zwar auch regelmäßige Teilnehmer aber sie haben es nicht verbindlich im Unterrichtsplan ihrer Schule.
Die Waldpraktika müssen ein Kalenderjahr vorher angemeldet werden und die Nachfrage nach diesen Projekttagen ist in letzten Jahren so groß geworden, dass eine Teilnahme unserer Schule nicht immer gesichert ist. In den Jahren 1991 – 1994 mussten wir deshalb mehrmals nach Sachsen-Anhalt ausweichen, da in Niedersachsen nicht genug Plätze zur Verfügung standen.
Zwar steht seit über 20 Jahren das Thema ‚Ökologie des Waldes’ im Mittelpunkt des Biologieunterrichtes der achten Klasse , dennoch war die praktische Arbeit vor Ort auch für uns Pädagogen eine völlig neue Herausforderung. Der robust-naturverbundene Umgangston der Forst- und Waldarbeiter und die z.T. sehr straff organisierte Hauswirtschaftsleitung mancher Heime, stellte uns tägliche alle vor neue Situationen. Das Wecken um 5.30 Uhr – und auch Lehrer sollten das in den frühen Morgensunden gut gelaunt können – war morgens die erste Bewährungsprobe.
Am Tagesablauf eines Praktikumtages hat sich in den letzten Jahren eigentlich wenig geändert. Mit Gummistiefeln und Arbeitshandschuhen geht es nach dem Frühstück gegen 7.00 Uhr hinaus in die Botanik. In der Regel werden zwei Waldarbeitern ca. sechs Schülerinnen und Schüler zugewiesen, die dann bis 12.30 Uhr forstwirtschaftliche Arbeiten leisten. Der Nachmittag kann individuell gestaltet werden für Ausflüge und Besichtigungen. Dabei steht für jeden ein spezielles Tätigkeitsfeld auf dem Programm. Die Jahreszeit bestimmt hierbei überwiegend die Arbeit im Wald. Das Verschneiden und Ausholzen von Waldparzellen im Frühjahr stellt hierbei die unangenehmste und anstrengendste Aufgabe dar.
Beliebt waren immer leichtere Tätigkeiten wie Anpflanzen einer Baumschule oder das Anfertigen von Nistkästen. Aber auch im Bau von Waldbänken, Schutzhütten, Hochsitzen und im Einzäunen von Schonungen sammelten wir praktische Erfahrungen.
Bei frostigen Temperaturen im April im Oberharz Rotbuchenkeimlinge zu sammeln und nach Möglichkeit die Ergebnisse der vorangegangen Gruppen zahlenmäßig zu überbieten – nun ja – jeder Arbeitstag brachte neue Überraschungen . Aber die positiven Eindrücke und Erkenntnisse entschädigten alle körperlichen Anstrengungen. Durch den Einsatz in der Natur für die Natur konnte die Sensibilität für Umweltprobleme am besten geweckt werden.
In den vielen Jahren lernten vor allem die regelmäßig begleitenden Lehrkräfte die Gegenden Niedersachsens gut kennen. Ob in der Nordheide bei Oerrel, im Diepholzer Moor bei Sulingen, im Leine- und Weserbergland und nicht zuletzt in den Harzer Wäldern, die St.Ursula-Schule war nahezu in allen Landesteilen Niedersachsens schon im Einsatz.
Mit der deutschen Wiedervereinigung lernten wir auch den westlichen Teil Sachsen-Anhalts kennen. Als im Frühjahr 1991 das Jugendwaldheim in Drei-Annen-Hohne bei Schierke seinen Betrieb aufnahm, stellte unsere Schule die erste Arbeitsgruppe überhaupt und weihte somit das Gebäude ein. Die Waldpraktika des Jahres 1991 waren somit auch die ersten Klassenfahrten in das Gebiet der ehemaligen D.D.R.. Neue Erfahrungen, Eindrücke und Kontakte mit sozialen Problemen vor Ort konnten gewonnen werden. Die auf Disziplin und Gehorsamkeit ausgerichtete Kommandotonsprache war zunächst ungewohnt, tat aber einigen Schülern auch mal ganz gut und erleichterte den begleitenden Lehrern die Arbeit erheblich. Auch für die Mitarbeiter im Jugendwaldheim Drei- Annen- Hohne war schließlich der Kontakt mit Schulklassen aus dem Altbundesgebiet eine völlig neue Situation.
Dennoch haben wir uns alle ganz gut verstanden. Besonders gut in Erinnerung verbleibt das ausgesprochen reichhaltige Frühstück, das im Vergleich zu den frugalen Mahlzeiten niedersächsischer Heime wirklich auch sättigte. Ausflüge zum Brocken und Wernigerode zeigten unsern Schülern viel Neues und Unbekanntes der alten D.D.R..
Über die Zukunft und den Sinn der Waldpraktika wurde oft nachgedacht, zumal nicht alle Schülerinnen und Schüler aber auch Lehrer sich mit den Inhalten identifizieren können. Für die begleitenden Lehrkräfte bedeutet es eine zusätzliche Arbeitsbelastung zumal eine weitere Klassenfahrt Klausurtermine enger zusammenrücken lässt; für einige Schüler, die Allergien gegenüber Pollen und Sporen haben, ist ein Waldeinsatz im Frühjahr eine weitere Herausforderung.
Dennoch haben die Waldeinsätze gezeigt, dass die gemeinsame körperliche Arbeit viel zum Erhalt der Klassengemeinschaft beiträgt und für Stadtkinder der einwöchige Aufenthalt in der Natur ein bleibendes Erlebnis ist.
Wolf – Dieter Schmidt